Eine schöne Kindheit ohne Fernsehen, ohne Handy, ohne Auto, ohne Supermarkt, ohne Taschengeld, ohne eigenes Zimmer – geht das überhaupt?

Unsere Zeitzeugen wissen es genau. Sie erzählen die erstaunlichsten Geschichten – wie sie in Lüneburg aufgewachsen sind, wo sie gewohnt haben und wie die Schulzeit war. Da gab es in der Erinnerung die nette Grundschullehrerin, den wöchentlichen Badetag – die ganze Familie nacheinander in einer Wanne in der Küche, geschlagene Sahne im Milchladen holen (Mixer gab es noch nicht), die Nachbarn kamen mit Pony und Kutsche, dann der große Birnbaum vor dem Haus und die gute Nachbarschaft in den Straßen. Eine Kneipe, durch die die Grenze zwischen Lüneburg und Hagen verlief. Am liebsten würde ich alle Geschichten aufschreiben, so spannend waren sie bei unserer Führung durch Neu Hagen. Einen Bericht hörte ich unterwegs per Zufall:

Im Museum studiere ich oft das Lüneburger Stadtmodell von 1935. Zwischen nach außen geschlossenen Straßenzügen befanden sich in den Hinterhöfen meist Gärten und viele Gebäude, die von außen nicht sichtbar waren. Ich merkte mir diese Straßen und versuchte, solche alten Gebäude in Hinterhöfen zu finden und wurde fündig. In der Blumenstraße arbeitete vor ihrem Haus eine Seniorin. Ich fragte, ob sie im Hof alte Gebäude hätte und sie erlaubte mir, einen Blick hinein zu werfen. Dieses Ziegelhaus (rechtes Foto) war im unteren Teil früher eine Waschküche, im oberen Teil Heuboden, zu dem eine Außentreppe führte. Links ein Holzschuppen, rechts eine Veranda, die vormals ein Schweinestall war. Und es gab hier früher selbstverständlich Hühner und Kaninchen und einen Gemüsegarten mit Obstbäumen. Das war vor dem 2. Weltkrieg normal und gehörte auch bei einfachen Häusern dazu, damit die Familien sich selbst versorgen konnten. Viele hatten auch eine Ziege für die tägliche Milch.

Meine Zeitzeugin wurde traurig. Die Ställe sind in Garagen umgewandelt, die Gärten vor den Häusern sind heute teilweise Schottergärten. Die Blumen in der Blumenstraße sind selten geworden. Dazu ein ohrenbetäubender Lärm von der nahe gelegenen Dahlenburger Landstraße. Ich konnte ihre leise Stimme kaum verstehen. Ich habe dann noch weitere ehemalige Schweineställe entdeckt. In einem ist jetzt eine Kaffeerösterei!

Natürlich wurde in den Hinterhäusern auch gewohnt. In der Altstadt findet man auf den Höfen der Hauptgebäude hier und da noch sogenannte „Buden“. Das waren dürftig ausgestattete Wohngebäude der ärmeren Stadtbewohner. Und wer sich nicht einmal die Miete für eine Bude leisten konnte, lebte in einem Wohnkeller, der nur einen Raum aufwies und in der Regel klein, niedrig, dunkel und feucht war (nachzulesen in „Denkmalpflege in Lüneburg 2006“).
Dass der ALA nicht nur fröhliche Feste feiert und Stadtgeschichten erzählt, können Sie auf nachfolgendem Video sehen.
Dank an Hajo Boldt für die Dokumentation!
https://www.lueneburgaktuell.de/artikel/video-ala-sichert-buntglasfenter

Nachdem alle Versuche, das historische Treppenhaus im alten Trakt des Krankenhauses zu retten, gescheitert waren, kam der Abrissbagger. Das war ganz bitter. Glasermeister Eckhard Pols und unser ALA-Team konnten gerade noch das Buntglasfenster von 1900 sichern. Das Fenster und Reste der Säulen sollen nun im Eingangsbereich des Klinikums aufgestellt werden. Hier noch ein Foto des prächtigen Flurs von Mai 2023. Er ist nun zerstört.
Auch von einem Vortrag im Museum will ich kurz berichten. Prof. Dr. Ulrich Gebhardt referierte zum Thema „Wieviel Natur braucht der Mensch?“ Ein für mich provozierender Titel, denn der Mensch IST Natur und ISST Natur und kann ohne sie nicht existieren. Die Natur kommt hingegen gut ohne den Menschen aus. Also eine sehr einseitige Beziehung.

Professor Gebhardt machte deutlich, wie wichtig es sei, Kinder schon ganz früh mit der Natur vertraut zu machen. Sie finden dort eine Kraftquelle, einen Rückzugsort und Halt in schweren Zeiten. In unseren Städten ist es kaum möglich, solch eine Beziehung aufzubauen. „Die Gärten sind in Garagen umgewandelt“, Tiere sind fast ganz verschwunden und die wenigen „Stadtbewohner“ sind ein Ärgernis. Interessant hierzu die Umfrage unter 8-10 jährigen Kindern, was sie sich am meisten wünschen. Und nein, an erster Stelle steht nicht das Smartphone, sondern ein Tier. Mittlerweile gibt es viele Bemühungen, wieder Natur in die Stadt zu bringen. Öffentliches Grün gibt es ja bislang nur in den Parks und Gartenkolonien. Und Tiere anschauen kann man im Archepark oder – Geheimtipp – im kleinen Vogelpark des Geflügelzüchtervereins an der Dahlenburger Landstraße. Auf einem Rundweg kann man dort die große Artenvielfalt des Federviehs bestaunen und im Sommer die schöne Natur in dem Wäldchen genießen. Und man kann die Kinder einmal sausen lassen…

Immerhin – die Lüneburger lieben ihre Salzsau! Besonders die in der Bäckerstraße. Es gab ja eine rührende Aktion an einem Sonnabendmorgen nach der ersten frostigen Nacht. Jemand hatte der frierenden Sau eine warme Decke umgehängt. Ein weiterer Passant spendierte einen heißen Kaffee. Dazu ein Stück Brötchen, eine Chillischote (?) und ein Blümchen. Nur eine/r wusste, dass Wildschweine lieber Kastanien fressen…
Mit dieser kleinen Stadtgeschichte verabschiede ich mich nun in den besinnlichen November. Für die Zeit auf dem Sofa habe ich noch einen kleinen Lüneburg-Film für Sie:
Und in den nächsten Stadtgeschichten gibt es dann gaaanz viele Einladungen und einen Ausblick auf das, was wir 2025 vorhaben. Bis dahin verbleibe ich mit herzlichen Grüßen
Magdalena Deutschmann
ALA-Stadtgeschichten
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